Jürgen Klug spricht Klartext

Wer bestimmt, was rollstuhlgerecht ist und was nicht?

Was ist rollstuhlgerecht, barrierefrei, behindertenfreundlich? Fragen, deren Antworten von uns als Reiseveranstalter für Menschen mit Behinderung mit Recht erwartet werden. In Folge einer Muskelerkrankung sitze ich nun seit mehr als 30 Jahren im Rollstuhl. Und ehrlich gesagt: eine perfekte Antwort darauf fällt mir auch nicht ein.

Jeder Anspruch ist anders

Wie auch? Jede Behinderung ist anders: Ein Mensch mit Querschnittslähmung hat andere Bedürfnisse, als ein Mensch mit ALS, einer Spastik oder anderen Behinderungsformen. Jeder Rollstuhl ist anders: Vom Rollstuhl der sogar geländetauglich ist, über Sportstühle, Komfortstühle, Aktivstühle, Elektro-Rollstühle oder Scooter findet man heute die unterschiedlichsten Varianten auf dem Markt.

Wie kann eine Unterkunft dann so gestaltet sein, dass diese alle Bedürfnisse und Notwendigkeiten einer Unzahl verschiedener Rollstuhltypen und Behinderungsformen gerecht wird? Das ist schier unmöglich!

Aus diesem Grund recherchieren wir bei unseren Besichtigungstouren so akribisch wie möglich. Sie können von uns alle relevanten Maße der Unterkünfte, Fotos, Videos und Hilfsmittel am Urlaubsort bekommen, um Ihren Urlaubsort so gut wie möglich nach Ihren Bedürfnissen auszuwählen und Ihren Urlaub nach Ihren Wünschen zu gestalten. Aber bitte, die endgültige Urlaubsentscheidung liegt bei Ihnen! Es ist doch verständlich, dass wir als Reise-Experten nicht per Ferndiagnose eine bessere Einschätzung Ihres Gesundheitszustands bzw. Ihrer möglichen Mobilität am Urlaubsort vornehmen können, als Ihr Hausarzt oder Ihre Familie.

Für uns hat oberste Priorität, dass Sie mit dem Rollstuhl in unseren Unterkünften zurechtkommen. Die Einschätzung, was Sie am Urlaubsort selbständig unternehmen können und wo Ihre Grenzen liegen, müssen Sie bitte immer noch selbst vornehmen.

Ihre Mitarbeit ist gefordert

Aus diesem Grund ist es für uns auch sehr wichtig, welche Art der Behinderung, welche individuellen Bedürfnisse Sie haben und welchen Rollstuhl Sie benutzen. Nur so können wir gemeinsam mit Ihnen herausfinden, welche Unterkunft für Sie am ehesten infrage kommen und welche Hilfsmittel wir Ihnen vor Ort zur Verfügung stellen dürfen. Sie sollen Ihren Urlaub genießen – ohne Gedanken an Ihre körperlichen Einschränkungen, sondern voller Lebensfreude!

Andere Länder, andere Sitten

Manche Gäste beklagen sich, dass Sie im Ausland andere Bedingungen vorfinden, als Sie es zu Hause gewohnt sind. Ist es nicht normal, dass im Ausland andere Standards gelten? In England wird auch nicht rechts gefahren und der Verkehrsfluss funktioniert trotzdem.

Manchmal sind die Standards für uns Rollstuhlfahrer im Ausland sogar besser. Denn es gibt Länder wie z.B. Spanien, in denen man häufig eine bessere Infrastruktur für Rollstuhlfahrer vorfindet, als in Deutschland. Rollstuhlgerechte Toiletten in Restaurants und rollstuhlgerechte Strände sind dort längst keine Ausnahme mehr.

Sie sind doch im Urlaub

Mal Hand aufs Herz: Wenn ich an einem schönen Strand unter einem großen Sonnenschirm liege, die wohlig wärmende Sonne und ein laues Lüftchen sich mit einem leisen Meeresrauschen vermischen; ist es mir doch schnurzpiepegal, ob die rollstuhlgerechte Toilette am Strand etwas beengt ist und sich im Spiegel nur ein 2,10m großer Fußgänger auf Zehenspitzen sehen kann. Ich bin im Urlaub! Ich will entspannen - neue, unvergessliche Eindrücke mit nach Hause nehmen. Reisen ist Leben, genauso wie Leben Reisen ist.

Barrierefrei von hier bis zum Mond

Inwieweit Ihr Urlaubsort rollstuhlgerecht ist, können wir Ihnen zwar mitteilen, es entzieht sich aber unserem Einfluss Städte oder gar Länder so zu gestalten, dass Sie überall mit dem Rollstuhl zurechtkommen. Wir sind Reiseveranstalter und versuchen unser Bestes zu tun, Ihren Urlaub so barrierearm wie möglich zu gestalten. Wir sind aber weder eine Interessenvereinigung, noch eine politische Organisation, die die Interessen von Menschen mit Behinderung in der Öffentlichkeit vertritt. Wir geben gerne Anregungen für eine verbesserte Infrastruktur, haben aber letztlich die Entscheidung für eine barrierefreie Infrastruktur in unseren Urlaubsdestinationen nicht in der eigenen Hand.

Hat sich nicht bereits vieles verbessert?

Nach 30 Jahren Rollstuhl ist mein Resümee generell positiv! Ich kann mich noch gut an Zeiten erinnern, in denen Menschen mit Behinderung von der Bundesbahn nur im Gepäckwagen ‚transportiert’ wurden. Mit dem Flugzeug in den Urlaub zu kommen?! Daran war ja gar nicht zu denken. Es gab zahlreiche Hotels und Restaurants die keine Rollstuhlfahrer wollten. Man nahm an, dass Sie durch ihre Behinderung andere Gäste vergraulen würden.

Zum Glück haben sich die Zeiten geändert und es gibt heute fast unbegrenzte Reisemöglichkeiten für Menschen mit Behinderung. Ich selbst bin beispielsweise schon mit dem Heißluftballon über die Pyrenäen geflogen (können Sie auch bei uns buchen). Ein Erlebnis das man so schnell nicht vergisst. Übrigens ohne Behinderten-WC an Bord ;-)

In diesem Sinne einen schönen Urlaub!

juergen

Ihr Jürgen Klug
(Rollstuhlfahrer und Reiseberater bei runa reisen)

Anmerkungen und Kommentare zu diesem Klartext senden Sie bitte an klug@runa-reisen.de